Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde – doch jenseits von ChatGPT und Textgenerierung verbirgt sich ein riesiges Potenzial, das viele Unternehmen noch gar nicht voll ausschöpfen. Im Gespräch mit Stefan Herbst, Geschäftsführer von Aixioom Software Solutions und AI Health Systems GmbH, gewährt uns Norbert Schuster im Podcast „From Cold to Close“ spannende Einblicke in praxisnahe KI-Anwendungen. In diesem Blogartikel fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse zusammen – konkret, verständlich und anwendbar für Entscheider aus Marketing, Vertrieb und Operations.

KI ist mehr als ChatGPT: Der Blick unter die Oberfläche

Stefan Herbst bringt es gleich zu Beginn auf den Punkt: Die Künstliche Intelligenz ist derzeit ein medialer Hype, aber das Prinzip ist nicht neu – erste Forschungen dazu reichen bis in die 1940er zurück. Heute rücken die sogenannten „Large Language Models“ wie ChatGPT in den Vordergrund, doch in der Unternehmenspraxis liegt der wahre Nutzen von KI oft an ganz anderer Stelle.

Herbsts Unternehmen setzt KI zur intelligenten Ressourcenplanung in verschiedenen Branchen ein – von der Lebensmittelproduktion über den Handel bis hin zur medizinischen Versorgungslogistik. Die Technik hilft dabei, besser vorherzusagen, zu planen und zu steuern. Und das auf eine Art und Weise, die sich unmittelbar in Zeit-, Kosten- und Ressourcenvorteile übersetzt.

Ein Eisverkäufer, 300 Einflussfaktoren und der Unterschied zu Bauchgefühl

Wie kann man sich so eine KI-Anwendung vorstellen? Stefan Herbst veranschaulicht es mit einem einfachen Beispiel: Ein Eisverkäufer entscheidet basierend auf Wetter, Tageszeit und vielleicht einem Fußballspiel, wie viel Eis er produziert. Das ist Bauchgefühl – basierend auf Erfahrung.

Die KI hingegen quantifiziert genau diese Erfahrungen, ergänzt sie um Hunderte weiterer Einflussfaktoren (bis zu 300!) und prognostiziert darauf basierend den wahrscheinlichen Absatz. Einflussgrößen wie Wetterdaten, Feiertage, regionale Events oder das Bruttoinlandsprodukt fließen in die Analyse ein. Das Ergebnis: eine exakt abgestimmte Produktionsplanung – nicht zu viel, nicht zu wenig. Ideal zur Vermeidung von Retouren und Verschwendung.

Von der Bäckerei bis zur Elektrotechnik: Wo KI echten Mehrwert bringt

Das Prinzip funktioniert nicht nur beim Brötchenbacken. Herbst nennt Beispiele aus der B2B-Welt: etwa in der Elektroindustrie bei der Fertigung von Kabeln, Steckverbindungen oder Schaltern. Auch hier liefert die KI belastbare Prognosen, wann welche Komponenten in welcher Stückzahl benötigt werden. Das schafft Transparenz in der oft undurchsichtigen Blackbox der nachgelagerten Kundennachfrage.

So werden nicht nur Produktionsprozesse optimiert, sondern auch Einkauf, Lagerhaltung und Logistik intelligenter gesteuert. Unternehmen sparen Kapitalbindung, reduzieren Überbestände und vermeiden teure Stock-outs – also Situationen, in denen Kunden nicht beliefert werden können, weil Teile fehlen.

Was Kunden über KI wissen müssen – und was nicht

Ein zentrales Thema im Gespräch: Wie viel muss ein Unternehmen über KI wissen, um sie sinnvoll einzusetzen?

Stefan Herbst bringt einen prägnanten Vergleich: Autofahren funktioniert auch, ohne genau zu wissen, wie ein Verbrennungsmotor arbeitet. Man muss wissen, wie man Gas gibt und bremst – und ein Gefühl für die Straße entwickeln. Genauso verhält es sich mit KI: Die Nutzer müssen die Anwendung verstehen, nicht aber den mathematischen Algorithmus dahinter.

In der Praxis bedeutet das: Es braucht eine grundlegende Bereitschaft zur Veränderung, ein gewisses Verständnis für Daten und Prognosen – aber keine tiefgreifende Technologiekenntnis. Die Systeme werden so gestaltet, dass Fachanwender sie intuitiv nutzen können. Die KI wird zum Werkzeug.

Mensch und Maschine: Eine Symbiose statt ein Ersatz

Eines stellt Herbst klar: Der Mensch bleibt die letzte Instanz. Kein System kann mit 100%iger Sicherheit vorhersagen, was passieren wird. Deshalb wird die Prognose durch den Menschen validiert, angepasst – und genau diese Anpassungen fließen wieder zurück ins System. Die KI lernt stetig weiter, wird besser – eine echte Mensch-Maschine-Symbiose.

Hilfreich dabei: Die Systeme zeigen dem Anwender an, wie „sicher“ sie sich bei einer Vorhersage sind. So können sich Mitarbeitende gezielt auf die Fälle konzentrieren, bei denen der Algorithmus unsicher ist – und bei Routinefällen einfach der KI vertrauen.

Sales & Operations Planning: Abteilungsübergreifend in Echtzeit planen

Ein weiteres spannendes Thema: Sales and Operations Planning (S&OP). Hierbei geht es darum, alle relevanten Abteilungen eines Unternehmens – von Vertrieb und Marketing über Produktion bis zur Finanzplanung – auf eine gemeinsame Planungsgrundlage zu stellen.

Die KI liefert hierfür eine Echtzeit-Prognosebasis, auf der dann sämtliche Ressourcen – menschliche, technische, finanzielle – optimal aufeinander abgestimmt werden können. Neue Marketingaktionen können simuliert, Produktionsauswirkungen direkt sichtbar gemacht werden. Das Ziel: Agilität im gesamten Unternehmen – fundiert, faktenbasiert und vorausschauend.

Produktionsfeinplanung und Notfallmedizin: KI im Detail

Die Systemlösungen gehen noch tiefer: Herbst beschreibt die Produktionsfeinplanung bis auf Maschinenebene. Das System erkennt automatisch, wann welche Maschine mit welchem Produkt belegt sein muss, berücksichtigt Sonderfälle (z.B. ein eiliges Kundenprojekt) und plant entsprechend um.

Besonders eindrucksvoll: die Anwendung im Gesundheitswesen. Gemeinsam mit einem Professor für Unfallchirurgie entwickelt das Unternehmen eine KI zur Prognose von Notfällen. Damit kann eine Klinik frühzeitig abschätzen, wie viele Notfallpatienten in einem Zeitraum zu erwarten sind – und entsprechend Ressourcen planen. Personal, OP-Zeiten, Behandlungsräume: Alles kann passgenau disponiert werden. Erste Erkenntnisse zeigen sogar, dass die Mortalitätsrate dadurch gesenkt werden kann.

Verschwendung vermeiden, CO₂ sparen, Patienten besser versorgen: Drei Wirkebenen der KI

Welche Wirkung hat die KI nun tatsächlich?

Stefan Herbst unterscheidet drei zentrale Ebenen:

  1. Ökonomisch: Unternehmen werden effizienter, reduzieren Kosten, binden weniger Kapital, können gezielter einkaufen und schneller reagieren. Im Handel sei z. B. eine Reduktion der Einkaufspreise um bis zu 2 % möglich – mit direktem Einfluss auf die Marge.
  2. Ökologisch: KI hilft, Überproduktion und Ressourcenverschwendung zu vermeiden – ein nicht zu unterschätzender Hebel im Kampf gegen den Klimawandel. Jedes nicht weggeschmissene Brötchen, jedes eingesparte Lagerstück zählt.
  3. Sozial: Gerade im Medizinbereich ist die soziale Dimension offensichtlich. KI ermöglicht eine gerechtere, schnellere und präzisere Versorgung. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist das kein Luxus, sondern dringend notwendig.

„KI schafft Jobs – sie ersetzt keine Menschen“

Ein häufiger Vorbehalt gegenüber KI ist der Arbeitsplatzabbau. Auch hierzu nimmt Stefan Herbst klar Stellung: Die KI ersetzt nicht Menschen, sondern übernimmt Tätigkeiten, für die heute schlicht die Zeit oder das Personal fehlt. Angesichts des Fachkräftemangels gerade im medizinischen Bereich sei KI nicht Bedrohung, sondern Entlastung.

So können menschliche Ressourcen dort eingesetzt werden, wo es wirklich darauf ankommt – in der Kommunikation, in der Betreuung, in der Entscheidung. Routinetätigkeiten wie Datenauswertung oder Standarddisposition übernimmt das System – präzise, objektiv, rund um die Uhr.

Deutschland und Europa: Verpassen wir wieder den Anschluss?

Zum Schluss wagt Norbert Schuster noch einen Blick auf den globalen Wettbewerb: Während KI-Entwicklungen aus Asien und den USA für Schlagzeilen sorgen, scheint Europa oft abgehängt.

Auch hier bleibt Stefan Herbst differenziert, aber klar: Die Forschung in Europa ist hervorragend – es mangelt nicht an klugen Köpfen. Aber wir schaffen es nicht immer, diese Innovationen in marktfähige Geschäftsmodelle zu übersetzen. Das Beispiel mp3 sei Mahnung genug: entwickelt in Deutschland, vermarktet in den USA.

Mit Startups wie Aleph Alpha gebe es Hoffnung, aber die finanzielle Unterstützung bleibe hinter dem zurück, was in Übersee möglich ist. Dabei habe Europa einen entscheidenden Vorteil: den Zugang zu den hochqualitativen Daten aus dem Mittelstand – ein echter Datenschatz, den wir nutzen sollten.

Fazit: KI ist keine Zukunftsmusik, sondern Gegenwart – und zwar mit messbarem Nutzen

Das Gespräch zwischen Norbert Schuster und Stefan Herbst zeigt eindrucksvoll: Künstliche Intelligenz ist weit mehr als ein Trend oder Buzzword. Sie kann heute, hier und jetzt, konkrete Probleme lösen – vom Bäcker bis zur Uniklinik.

Voraussetzung dafür ist allerdings ein grundlegendes Verständnis auf Seiten der Anwender, eine gute Datenbasis – und die Bereitschaft, sich auf neue Werkzeuge einzulassen. Unternehmen, die das schaffen, profitieren nicht nur wirtschaftlich, sondern leisten auch einen Beitrag zu ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit.

Klar ist: Die Technik ist bereit. Jetzt liegt es an uns, sie sinnvoll und verantwortungsvoll einzusetzen.


Du willst mehr über KI im Vertrieb und Marketing wissen?

Dann bleib dran – im nächsten Teil der Podcast-Reihe wird genau das Thema mit Stefan Herbst vertieft.

Bis dahin findest du alle Infos zu Stefan und seinen Projekten in den Shownotes.